Die Abrechnung: 6 meiner größten Fehler – und was am Ende daraus geworden ist –
Nach dem Zieleinlauf meines letzten Marathons falle ich tot um. Da ich in meiner Patientinnenverfügung eine Wiederbelebung unter allen Umständen ausgeschlossen habe, lässt man mich in Ruhe tot sein.
Ich bin 95 Jahre alt und habe damit den Rekord von Harriette Thompson als ältester Marathonläuferin der Welt eingestellt. Dieser Rekord ist immerhin 64 Jahre alt geworden…
Fauja Singh, der noch im Alter von 100 Jahren einen Marathon finishte, bleibt weiterhin unerreicht.
Während sich um meinen Körper noch ein paar Ärztinnen, Sanitäterinnen und Schaulustige versammeln, befinde ich mich schon Angesicht zu Angesicht mit einer streng blickenden Dame. „Da sind Sie ja endlich, Frau Scholze. Sie haben sich verdammt viel Zeit gelassen.“
„Das war der Plan.“ antworte ich. „Da ich in jüngeren Jahren so beschäftigt damit war, herauszufinden, was und wer ich bin oder sein will, brauchte ich eine sehr lange zweite Lebenshälfte, um all meine Ideen einigermaßen zu sortieren.“
„Aha.“ Das ist eines dieser tödlichen „Ahas“, von denen auch meine Schwiegermutter eine große Zahl im Repertoire hatte. Das Stirnrunzeln dieser Dame weist ebenfalls eine gewisse Ähnlichkeit mit der Schwiegermama auf. „Das haben wir gemerkt. Es war ja nicht so, dass wir nicht alles versucht hätten, um Sie ein bisschen früher hierher zu bekommen.“
Ich war über das Gespräch so verdattert, dass ich überhaupt nicht auf die Idee kam zu fragen, wo zur Hölle dieses „Hierher“ sei.
„Jetzt sind Sie ja hier, fein gemacht! Dann erzählen Sie mal.“
„Was?“
„Frau Scholze, also wirklich! Sie waren Autorin, haben gebloggt, Menschen beraten und trainiert, von sich behauptet, Sie wären ein hochsensibles Multitalent… Und jetzt tun Sie so begriffsstutzig? Ich bin enttäuscht. Aber gut: Erzählen Sie uns von Ihren Fehlern. Und was Sie daraus gemacht haben. Denn nur diejenigen, die aus ihren Fehlern im Leben gelernt haben, dürfen sich uns anschließen.“
„Und Sie sind wer???“ frage ich und versuche meinerseits von oben herab zu stirnrunzeln.
„Nennen Sie uns wie Sie wollen, meine Liebe!“ jetzt lächelt sie. „Wir sind diejenigen, die darüber zu bestimmen haben, wie Sie den Rest Ihrer Unendlichkeit verbringen werden.“
„Ups. Entschuldigung. Dann will ich mir jetzt aber Mühe geben, Sie von meiner Eignung zu überzeugen.“ Konnte ja nicht so schwer sein. Die Jobs, die ich haben wollte, habe ich auch immer bekommen. Bis auf den Ausbildungsplatz als Kfz-Mechanikerin. Wegen der geburtenstarken Jahrgänge und weil ich Fingernägel hatte.
„Nein, ganz so einfach ist das nicht!“ Verdammt, die hatte mich denken hören! „Wir wollen keine Schönfärberei oder eine Probe in Selbstüberschätzung. Wir wollen die Wahrheit!“
Ich holte tief Luft, dachte über mein sehr langes Leben nach und legte los.
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